Ich möchte vorausschicken, dass ich selber mehrere Firmen u. a. in der Baubranche (habe auch mal Bauwesen studiert) geleitet habe und als Unternehmensberater mit Existenzgründern, mittelständischen Betrieben und Konzernen mit Milliarden-Umsätzen zusammengearbeitet habe. Damit möchte ich nicht angeben, sondern nur verdeutlichen, dass ich weiß, wovon ich schreibe. Ich habe im Laufe der Jahre viele Menschen in allen Ebenen der Betriebshierarchie kennen gelernt und fühlte mich mit den Menschen gemeinsam am Fließband genauso verbunden, wie mit den Geschäftsführern der großen Konzerne.
Leider sind mir auch viele Probleme in der Zusammenarbeit von Abteilungen untereinander begegnet, noch mehr aber Unstimmigkeiten zwischen den „einfachen“ Arbeitern und „denen da oben“. Eben schrieb ich „fühlte mich mit den Menschen gemeinsam am Fließband genauso verbunden“ – sie haben richtig gelesen. Denn um einen Betrieb beurteilen zu können, um zu sehen wo die Schwachstellen sind, um die innere Struktur zu begreifen – nicht nur die theoretische, sondern die gelebte – ist es meines Erachtens unerlässlich, mit denen zu sprechen, die alltäglich an den Maschinen arbeiten, die mit ihrem körperlichen Einsatz, ihrem Schweiß die Produkte herstellen. Oder die tagtäglich im Verkauf den Kunden Rede und Antwort stehen, Regale einräumen, Waren auszeichnen und was sonst noch so verlangt wird. Natürlich auch die, die vom Büro aus Abläufe steuern, die Buchhaltung machen und Briefe tippen. Was liegt also näher, als in einem zu beratenden Betrieb erst einmal ein paar Tage – anonym – mitzuarbeiten. Nein, nicht um hinterher sagen zu können, wer gefeuert werden soll, nicht um die Kollegen anzuschwärzen oder ihre Arbeit schlechtzureden, im Gegenteil, um zu erfahren, wo der Schuh drückt, wie die Stimmung im Betrieb ist, wo es Reibungspunkte gibt. Außerdem lerne ich so etwas über die Produkte oder Dienstleistungen und kann die Arbeit gerechter beurteilen.
Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass in vielen Betrieben die Stimmung „an der Basis“ nicht mit dem übereinstimmt, was die oberste Führungsriege meint zu wissen. Unzufriedenheit wird im mittleren Management viel zu oft nach unten weitergeleitet. Es wird Druck gemacht, es wird mehr Leistung gefordert, ohne Ursachen für Probleme wirklich zu bekämpfen. Viele Probleme werden gar nicht „nach oben“ gemeldet. So können ganze Konzerne in die Krise geraten oder sogar zum Absturz gebracht werden.
Es sind nicht nur die Zahlen, die einen Betrieb ausmachen. Es sind noch viel mehr die Menschen (Stoff im ersten Semester BWL). Nur weil einer eine höheren Schulabschluss, ein Diplom, Master oder Doktortitel hat, ist er im Betrieb menschlich gesehen nicht mehr wert als der Staplerfahrer ohne Hauptschulabschluss und ohne Ausbildung.
Ein Betrieb ist wie ein großes Uhrwerk. Ein paar große Räder, einige mittlerer Größe und viele kleine Räder sind notwendig, damit die Uhr immer genau die richtige Uhrzeit anzeigt, damit die Glocken immer pünktlich und in richtiger Anzahl schlagen. Ob man das größte oder das kleinste Rad herausnimmt, ist egal, das Ergebnis ist das Gleiche: Die Uhr läuft nicht mehr. Was ist der Ingenieur, der Betriebswirt, der Chef ohne die Menschen, die jeden Tag für ihn arbeiten?
Als ich eine Baufirma leitete, führte ich eine neue Technik ein, Wände zu mauern. Die neuartigen Steine wurden auf die Baustelle geliefert und die Maurer vor Ort wussten damit erst mal nicht allzu viel anzufangen. Neue Werkzeuge und unbekannter Mörtel verunsicherten sie natürlich. Ich hätte ihnen einen Plan geben können, eine Beschreibung, wie diese Steine richtig gesetzt werden. Aber das war nicht meine Art. An dem Tag hatte ich nicht den (damals noch) obligatorischen Anzug an. Wir hievten einige Steine auf das Kellerfundament, ich mischte im Kübel etwas von dem Mörtel an und setzte eine Ecke aus den Steinen, bemühte mich dabei so gut es ging verständlich zu machen, worauf es ankommt, um ein gutes Sichtmauerwerk in viel kürzerer Zeit als bisher zu erstellen. Ich musste aufpassen, nicht zu viel vom Ingenieur-Fachchinesisch einzubauen. Wenn die Maurer etwas nicht sofort verstanden, fragten sie nach. Auch kritische Fragen kamen, es gab nicht die häufig in Betrieben vorhandene Schranke, es existierte in dem Moment keine Hemmschwelle, keine Angst, was ich wohl angesichts der ein oder anderen Frage denken würde, ob ich den Mitarbeiter zurechtweisen würde. Es lag mir auch fern, irgendjemand bloßzustellen, als „dumm“ zu erkennen oder sogar bloßzustellen. Im Gegenteil, ich schätzte die Arbeit meiner Mitarbeiter, kannte meine Fähigkeiten und Schwächen und tat es ihnen, nachdem die kleine Mauerecke stand, mit einer lachenden Aussage kund:
„So – und nun dürft ihr weitermauern. Ich weiß ganz genau, dass ihr das viel schneller und auch viel gerader könnt als ich!“ Ich strich dabei über eine etwas unebene Stelle.
„Wenn es jetzt, gerade beim ersten Mal, noch nicht so klappt, etwas länger dauert, oder noch nicht so exakt ist, das macht nichts, dann werden die Wände eben noch verputzt.“
Nach einer Woche war ich stolz auf meine Leute, mindestens so stolz, wie sie zu Recht selber auf sich waren. In der Zeit, die ich erst für zukünftige Bauten kalkuliert hatte, stand der Keller mit Wänden so gerade und glatt, dass ich problemlos überall eine Latte anhalten konnte ohne nennenswerte Lücken zu finden, so dass kein Putz notwendig war. Übrigens, normalerweise habe ich meine Mitarbeiter gesiezt, aber in solchen Momenten ist das „Du“ verbindend, standen wir für eine Zeit auf einer Ebene, war ich nicht „der von da oben“. Meiner Autorität als Chef, die auch notwendig ist, hat das nicht geschadet. Im Gegenteil, ich wurde auch dann respektiert, wenn ich Kritik üben musste, war auch dann noch beliebt, wenn ich mich (selten) mal im Ton vergriff, mich dafür später erst entschuldigte.
Was wäre ich gewesen, wenn ich nicht die Maurer gehabt hätte, die Tag für Tag bei jedem Wetter sich den Buckel krumm geschuftet haben, für unsere Kunden, für meine Ideen, die ich zu Papier gebracht hatte. Ich bin diesen Menschen dankbar. Ich bin nicht „besser“, weil ich tolle Pläne zeichnen kann, weil ich einen Betrieb aufbauen und leiten kann, weil meine Intelligenz, gemessen in IQ-Werten, vielleicht höher ist. Nein – ich habe nur andere Aufgaben. Ich traue es mir auch nicht zu, so wie der Maurer jeden Tag auf der Baustelle Steine zu wuchten und bin froh, dass es diese Menschen gibt, die es sich nicht zutrauen die ganze Planungsarbeit zu erledigen. Ich respektiere sie, und daher respektieren sie auch mich.
Merken sie was? Wenn Führungsebene und Basis einen direkten Kontakt haben, auch wenn er nur kurz ist, wenn man selbst mal Hand mit anlegt und zugibt, dass man froh ist, Mitarbeiter zu haben, die das alltäglich machen – und in der Regel auch besser können, dann sind die Mitarbeiter motivierter, haben mehr Spaß an der Arbeit, identifizieren sich mit der Geschäftsleitung. Die Arbeitsleistung wird automatisch besser.
Ich schreibe bewusst „identifizieren sich mit der Geschäftsleitung“. Es ist ein Unterschied, ob sie sich nur mit dem Betrieb oder auch mit der Geschäftsleitung, mit den Vorgesetzten identifizieren, genauso wie die Führungskräfte sich ehrlich mit den Mitarbeitern identifizieren müssen. Denn nur dann entsteht das Vertrauensverhältnis, welches so wichtig für jeden Betrieb ist, der langfristig bestehen will.
Diese menschliche Bindung ist meines Erachtens der wichtigste Schlüssel zu mehr Erfolg.